

Was machen Sie, wenn Ihr Kind eine Oberschenkelzerrung hat? Lassen Sie es jeden Tag einen 100-Meter-Sprint absolvieren? Damit sich die Zerrung immer mehr verstärkt, niemals weggeht – oder irgendwann der Muskel reißt? Wohl eher nicht …
Nicht viel anders verhält es sich, wenn Ihr Kind eine Lese- und Rechtschreibschwäche (LRS) hat und Sie täglich versuchen, die Lesefähigkeit durch pures Lesen zu verbessern. Diese Methode gleicht einem täglichen Vollsprint mit Zerrung. Das Kind liest und liest, aber kommt nicht voran. Vielmehr vergrößern sich der Schmerz und der Frust Tag für Tag und das Kind versagt unter der Belastung komplett. Schlussendlich wird es nie wieder ein Buch in die Hand nehmen.
Zum Ziel führen ganz andere Methoden als der Vollsprint!
Wiedererkennung im Lese-Schreib-Zentrum
Wie führen Sie ein Kind – oder sich selbst – bei einer Zerrung an das maximale Lauftempo heran? Richtig, sie machen etwas ganz anderes! Es gibt Schmerzsalben, warme Bäder oder Massagen, um die Zerrung loszuwerden. Anschließend probieren Sie Stück für Stück kleine Belastungen und laufen zunächst nur langsam. Und dieses Vorgehen gelingt Ihnen bei der Lese-, Rechtschreibschwäche Ihres Kindes durch das Tipptraining?
Tipptraining heißt im übertragenen Sinne: Sie lassen das Kind nicht im Vollsprint unter Maximalbelastung einen langen Text lesen. Sondern sie gehen ganz anders vor. Statt zu lesen, tippt das Kind vorgegebene Wörter in einem Computer nach. Durch das Zerlegen der Wörter in einzelne Buchstaben und deren Einprägung im Lese-Schreib-Zentrum des Gehirns wird das automatische Wiederkennen von Wörtern erleichtert und geschult.
Wie das geht?
Beim Sehen müssen Sie nicht überlegen
Die Reihenfolge von Buchstaben wird mit der Zeit automatisch zusammengezogen und als Wort erkannt. Dies funktioniert so, weil die Natur immer der Reihe nach arbeitet, und zwar mit den kleinsten Bestandteilen zuerst, in diesem Fall mit einer „Garnitur“ von Buchstaben.
Ja, das passiert auch bei Ihnen vollkommen unbewusst und automatisch. Denken Sie einmal nach: Müssen Sie sich beim Sehen überlegen, wie sich ein Bild Ihrer Umgebung zusammenstellt? Auch hier laufen die Hintergrundinformationen automatisch zusammen, damit Ihr Gehirn mehr Zeit hat, zu denken und Aktivitäten gezielt zu steuern. Das leuchtet im wahrsten Sinne des Wortes ein, oder?
Sinnvolles Nachhelfen
Doch was ist, wenn Ihr Kind für die Schule einen langen Text lesen muss? Ich rate hier durchaus zu einem heimlichen, aber sinnvollen Nachhelfen. Lesen Sie Ihrem Kind den Text vor und besprechen Sie anschließend den Inhalt. Auf diese Weise erhält das Kind die Chance, den Inhalt besser und vor allem schneller zu verstehen.
Anschließend lassen Sie Ihr Kind eine Zusammenfassung formulieren, Sie schrieben die auf und anschließend das Kind tippt die Wörter nach und nach in den PC ab. Dadurch prägt es sich kontinuierlich die einzelnen Buchstaben ein, zieht die Informationen zusammen und kann irgendwann selbst laufen. Statt dem Oberschenkel bei einer Zerrung, massieren Sie auf die Weise das Gehirn Ihres Kindes – und es wird so auf lange Sicht die 100-Meter irgendwann erreichen. Auch in hohem Tempo.
Mit dem täglichen Vollsprint Lesen wäre dieser Erfolg nie möglich gewesen.